erdfische Henjo und Frank mit Druplicon

DrupalCon Wien 2025 – bleibt das Web offen für alle?

erdfisch Gründer Frank ist seit zwei Jahrzehnten fest in der Community verankert. Projektmanager Henjo ist seit sechs Jahren Teil der Crew und blickt auf seine fünfte Con zurück. Zusammen haben sie die größte europäische Drupal-Veranstaltung besucht und tauschen sich über ihre Eindrücke aus.

Die DrupalCon Wien ist vorüber. Sie war wie üblich geprägt von allem, was sich momentan im WWW bewegt, vor allem natürlich in der Drupal-Welt. Die Weiterentwicklung des neuen Drupal CMS, AI-Features, ganz neue Funktionswelten für Redakteurinnen und Redakteure kommen auf uns zu – und nicht zuletzt das heiße Thema Open Web: Wie offen ist es noch? Wie unabhängig muss Europa von den Daten-Riesen werden? Was bedeutet eigentlich „Digitale Souveränität“? Und: Wird der Open Source Gedanke auf der Con noch gelebt oder nur erwähnt?


Frank: Ich hatte viel über Wien gehört und mir wurde viel vorgeschwärmt. Meine Erwartungen wurden erfüllt. Wien ist eine tolle Stadt. Lebendig, sauber und mit toller Architektur. Dazu der besondere Wiener Flair. Ich mag Wien. Richtig klasse fand ich, dass ein ÖPNV Wochenpass für um die 20 EUR zu erhalten ist. Es geht auch unkompliziert.

Schloss Schönbrunn Wien zwischen Bäumen

Henjo: Ging mir genauso. Wien ist chic, aber nicht steril. Wenn man aus Berlin kommt, doch ein gewisser Kontrast. Besonders bei den… ähem Gerüchen in U-Bahnhöfen. 

Schloss Schönbrunn ist echt pompös, dagegen wirkt das Schloss Charlottenburg bei uns wie ein Puppenstübchen. Die Parkanlage mochte ich auch.

Frank: Ja, architektonisch ist Wien wirklich beeindruckend. In der Innenstadt hat mir die Mischung gefallen: viel kaiserlicher Prunk, daneben moderne Fassaden, und mittendrin dieser beiläufige Umgang mit Geschichte. Alles wirkt gleichzeitig monumental und entspannt.

Henjo: Habe ich auch so erlebt. Selbst die touristisch überlaufenen Orte wirken gepflegt, aber nicht künstlich. Und dieses Stadtbild bleibt im Kopf. Gut, manchmal führte die starke Struktur in den Verkehrswegen und der Versuch der Trennung von Straße, Straßenbahn und Gehwegen dazu, dass man als Fußgänger eher schwer voran kam. Und das mit den Baustellen – das kennen die da auch.

Wiener Oper mit Verzierungen und Arkadengängen

Das Wiener Opernhaus am Karlsplatz: imposant. Wie die gesamte Architektur im Stadtkern.

Frank: Aber mal zur Con. Die Venue war ganz ok. Übersichtlich und gut zu erlaufen. Der Ausstellungsraum war deutlich besser als letztes Jahr in Barcelona. Er wirkte nicht so steril und kalt. Diesmal hat der Aufenthalt bei den Ständen Spaß gemacht. Die Verpflegung auf dem Eventgelände war dagegen eher zweckmäßig. Belegtes Sandwich, ein Apfel, ein Stück Kuchen – in Ordnung, aber eben nicht mehr. Manchmal sah die vegane Variante deutlich interessanter aus. Beim nächsten Mal würde ich die probieren.

Henjo: Die Kaffeeversorgung war diesmal ein echtes Upgrade. Nach der unterkoffeinierten Erfahrung in Barcelona haben die Leute reagiert. Viele Stände hatten ihre eigene Barista-Station. Bei 1xINTERNET konnte man sich sogar das Logo auf den Milchschaum drucken lassen. Völlig over the top, aber es hat Gespräche angestoßen. Und genau dafür sind solche Details da.

Henjo steht neben Willkommensbanner zur DrupalCon 2025 Wien

Frank: Absolut! Der Espresso bei Factorial war morgens auch echt meine Rettung. Und Mittags. Und am Nachmittag, Hat eigentlich jemand den offiziellen Kaffee getrunken?

Die Veranstaltung selbst war professionell organisiert. Große Bühne, viel Technik, stellenweise inszenierte Euphorie. Aber mir fehlte das, was frühere Cons besonders gemacht hat. Ich kann es schwer beschreiben. Vielleicht war es etwas, was subtil in der Stimmung mitschwang.

Henjo: Die Con war handwerklich stark, aber ich hatte manchmal doch den Eindruck, dass sich gerade vieles verschiebt. Nicht nur technisch, sondern auch in der Kultur der Community und vor allem politisch. Das spürt man überall.

Frank: Die Driesnote war diesmal anders. Eindringlicher. Die Methapher mit den Bisons und dem Sturm zum Thema AI kannte ich: Der Sturm kommt, ob wir es wollen oder nicht. Die Bisons laufen ihm entgegen und durch. So hält er für sie weniger lange an und richtet vielleicht auch etwas weniger Schaden an. Passt gut zur aktuellen Lage. Er hat gut aufgezeigt, wie Drupal sich für AI aufgestellt hat und das gefällt mir sehr gut.

Ich hätte mir allerdings wenigstens eine kleine kritische Stellungnahme zur aktuellen geopolitischen Situation und auch der Abhängigkeit von Big Tech gewünscht. 

Henjo: Er hat viel über Technologie gesprochen, aber nicht über die Veränderungen, die uns alle betreffen. Das kam dafür in den kleineren Sessions umso stärker zum Ausdruck. Die Spannungen in der Community sind spürbar. Auch, weil zentrale Organisationen wie Acquia oder die Drupal Association stark amerikanisch geprägt sind. Viele in Europa erleben das zunehmend als Ungleichgewicht. Das wurde nicht angesprochen, aber man hat es zwischen den Zeilen gespürt.

Dries Buytaert vor seiner Präsentationsfolie über AI

Ich war jetzt zum vierten Mal auf einer Con vor Ort. Die Keynotes kamen mir diesmal anders vor. Es gab weniger klassische Vorträge und dafür mehr moderierte Diskussionen. Das war teilweise fordernd für die Konzentration. Aber wenn Internet-Schwergewichte wie Sebastian Bergmann (PHPUnit), Derick Rethans (PHP Core) und weitere über das Web im Jahr 2035 philosophieren, ist es das echt wert.

Frank: Gerade diese Panel-Diskussionen finde ich großartig. Ich schätze das Format sehr. Ja, nicht immer leicht zu verfolgen, jedoch waren die auf der Con alle super spannend.

Was ich noch positiv mitgenommen habe: Die Qualität der Gespräche war hoch. In den Sessions, in den Pausen oder abends beim Essen. Aber man muss sich den Raum dafür nehmen. Das kommt nicht von allein.

Die Positionierung von Drupal CMS als eigenständige Marke halte ich für einen wichtigen Schritt. Endlich gibt es ein Paket, mit dem man direkt arbeiten kann, ohne sich alles selbst zusammenzustellen. Für alle, die neu in die Drupal-Welt kommen, ist das ein klarer Vorteil.

Henjo: Ja, das war überfällig. Drupal CMS vereinfacht den Einstieg, aber es nimmt ihn uns nicht ab. Ich als Nicht-Entwickler habe mit dem Aufsetzen der lokalen Entwicklungsumgebung immernoch so meine Probleme. Es senkt die Einstiegshürde natürlich trotzdem deutlich und verschafft uns eine ganz neue Möglichkeit, Drupal nach außen zu kommunizieren.

Frank: Wichtig ist nur: Wer mit Drupal CMS arbeitet, sollte trotzdem wissen, was darunter liegt. Es ist keine neue Software, sondern eine durchdachte Zusammenstellung. Aber der Schritt, das als Marke sichtbar zu machen, ist absolut richtig.

Henjo: Ein technisches Highlight für mich war Flowdrop. Endlich ein Workflow-Tool, das man verstehten kann. Die Oberfläche ist klarer und die Funktionsweise nachvollziehbarer als beispielsweise beim bisherigen “Platzhirsch” ECA (Event - Condition - Action).

Frank: Ich habe vom Entwickler Shibin Das eine persönliche Demo erhalten. Das war sehr interessant und ansprechend. Es könnte bald ausgereift sein, ist aber noch auf dem Weg dahin. Besonders die Kombination aus grafischer Oberfläche und optionaler KI-Anbindung hat Potenzial. Das kann wirklich helfen, wiederkehrende Abläufe zu strukturieren.

Henjo: Auch HTMX fand ich spannend. Das ist ein pragmatischer Ansatz für Interaktivität ohne Seiten-Reload, bei dem wohl einfach HTML-Brocken “live” ausgetauscht werden. Ohne das viel zu oft angepriesene “Headless” / “Decoupled”, sondern eher mit der Einfachheit dessen, wie es früher mal war.

Frank: Das Thema KI war natürlich allgegenwärtig. In einem Vortrag zu Angebotsprozessen hieß es, dass 90 Prozent der Angebote bis 2030 automatisch erstellt werden sollen. Ich habe nach Datenschutz gefragt und ob alle Kund:innen- und Angebotsdaten einfach ungefiltert in LLMs gekippt werden. Die Antwort war sinngemäß: „Das machen doch alle so.“ Das hatte ich vermutet, finde es jedoch mehr als bedenklich.

Henjo: Genau da liegt das Problem. KI kann Prozesse unterstützen, vorbereiten, Vorschläge liefern. Aber Vertrauen entsteht im persönlichen Kontakt. Den kann keine KI ersetzen. Und wenn sie von einem intransparenten Großkonzern aus Übersee betrieben wird, hat es sich mit dem Vertrauen auch ganz schnell erledigt.

Frank: Das ist unser Vorteil. Technik ist hilfreich, aber am Ende entscheiden Menschen. Wir schützen die Daten unserer Kund:innen.

Übrigens: In der Sales & Marketing Masterclass kam die Empfehlung, Drupal in der Kommunikation so gut wie gar nicht mehr zu erwähnen! Weil es angeblich zu technisch sei. Man solle nur noch Lösungen und Mehrwerte nach außen kommunizieren.

Henjo: Ich halte das für zu kurz gedacht. Wenn wir nicht klar sagen, wofür wir stehen, verlieren wir unser Profil als Spezialisten, die mit Drupal alles bauen können. Dann stehen wir plötzlich neben Systemen, mit denen wir uns eigentlich nicht vergleichen wollen. Es braucht Klarheit, auch wenn sie erklärungsbedürftig ist. Das ist eine Frage der Haltung. Wer alles sein will, ist am Ende nichts Greifbares mehr.

Frank: Gerade jetzt, wo Inhalte sich angleichen und viele auf dieselben Tools setzen, wird Persönlichkeit zum Unterscheidungsmerkmal. Für Menschen, für Agenturen wie erdfisch, und für Communities.

Henjo: Das Panel zur digitalen Souveränität hat mich beeindruckt. Jeffrey “jam” McGuire hat in seiner gewohnt virtuosen Art vorzutragen deutlich gemacht, wie wichtig Unabhängigkeit für Europa ist und warum Open Source dafür mehr als nur ein technisches Modell ist. Begleitet wurde er dabei von Mathias Bolt Lesniak, einem TYPO3 Community-Spezialisten, der sich stark für den Austausch zwischen Open Source Systemen einsetzt.

Frank: Ich hätte mir gewünscht, dass das auch in der Driesnote vorkommt. Nicht als politische Aussage, sondern als strategische Perspektive. Open Source ist mehr als eine Lizenzform. Es ist ein Prinzip.

Henjo: Abseits der Sessions – was war dein persönliches Highlight?

Frank: Ganz klar: die Splash Awards für den deutschsprachigen Raum. Kleinere Bühne, konzentrierte Stimmung, wenig Inzenierung, viel Wertschätzung. Es ging um die Menschen hinter den Projekten, nicht um das "Abfertigen von Projekten und Auszeichnungen".

Henjo: Das habe ich genauso empfunden. Ich hatte ja in meinem Artikel über die SplashAwards letztes Jahr in Berlin schon einige Worte darüber verloren. Diesmal gab es sogar nach dem Event eine Live-Band und einer der Community-Kollegen hat ein paar Drupal-Songs mit der Band dargeboten. Das war super inszeniert, nur leider hatte der Tontechniker den Sound überhaupt nicht im Griff. Man konnte die Stimmen kaum verstehen. Trotzdem war das ein echt starker Abend.

Bühne der Splash Awards 2025 mit Publikum davor

Als Vorstandsvorsitzender des Drupal e.V. durfte Frank einen der Splash Awards feierlich überreichen.

Frank: Und das ist für mich das, was Drupal ausmacht. Nicht nur Code. Sondern Zusammenarbeit. Die Menschen. Nein, Open Source ist nicht nur ein Buzzword bei uns. Auch wenn die Probleme je nach Person unterschiedlich stark auf der großen Bühne angesprochen wurden, gilt: Digitale Souveränität, die Herrschaft über unsere persönlichen Daten und Websysteme, das alles wird von der Community tagtäglich gelebt. Und davon ist im digitalen Zeitalter jeder betroffen.

Henjo: Gerade wir als Europäer haben dabei nicht nur große Aufgaben vor uns, sondern sind inzwischen auch echte Vorreiter. Wir müssen deutlich zeigen, dass es auch andere Methoden gibt als die geschlossenen Systeme großer Konzerne. Und die Abhängigkeit immer weiter reduzieren.

...Was nimmst du aus Wien mit?

Frank: Kein Feuerwerk, aber viele kleine Signale. Die Drupal-Welt verändert sich. Und wir müssen aktiv mitgestalten, wohin sie sich bewegt.

Henjo: Ich bin froh, dass ich dabei war. Die deutlich kleineren Camps und die große Con im Wechsel zu besuchen, fühlt sich richtig an. Man sieht alle Seiten der Community und lernt, gewisse Dinge wertzuschätzen.

Frank: Und genau deshalb lohnt es sich, beim nächsten Mal wieder hinzugehen.

Henjo: Bis Rotterdam?

Frank: Bis Rotterdam.

Frank vor dem naturhistorischen Museum Wien